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Ilse Reicke - Partnerschaft mit Oberin Berta Merker, Drittes Reich, Zweiter Weltkrieg

Ilse Reicke etwa 1940, gemalt von Werner Fechner
Ilse mit Oberin Berta Merker und ihrer jüngsten Tochter auf Sylt; vermutlich zwischen 1935 und 1939.

Ilse und ihr Mann waren zwar national gesinnt, aber sicher keine Anhänger des Nationalsozialismus. Nach der Machtergreifung hatten sie Angst, verfolgt zu werden; deswegen wollten sie apolitisch leben, bis die Nazi-Herrschaft vorbei wäre, und haben sich aus Berlin nach Schreiberhau im Riesengebirge zurückgezogen.

Aus dem Wikipedia-Eintrag wissen wir, dass Ilse und ihr Mann Hans von Hülsen das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterzeichnet haben. Warum sie das taten, darüber hat Ilse nie gesprochen. Es geschah vermutlich unter einem gewissen Druck. Es war wohl absehbar, dass ohne dieses Gelöbnis ein weiteres Veröffentlichen von Texten, sei es als Verfasser, sei es als Herausgeber, schwierig bis unmöglich geworden wäre. Das gilt ebenso für die Arbeit als Journalistin wie für die Möglichkeit, Vorträge zu halten. Mit anderen Worten: die ohnehin nicht üppige ökonomische Basis wäre komplett entfallen.

Ilse Reicke war die Herausgeberin einer Monats-Zeitschrift "Mutter und Kinderland", die im Safari-Verlag Berlin erschien. Vermutlich war das ein wesentlicher Teil ihrer ökonomischen Basis. Im Impressum der Zeitschrift steht Safari-Verlag Carl Boldt, Berlin W 9, Linkstr. 11, und als Druckerei Adlers Erben in Rostock. Das legt nahe, dass Carl Boldt der Verleger war, auch wenn der Verlag weder auf dessen Seite noch mit eigenem Artikel in Wikipedia erwähnt ist.

Von dieser Arbeit hat Ilse erzählt, wie gegängelt die Presse in der Nazi-Zeit war (ab wann ist unklar): sie bekam als Herausgeberin jeden Monat einen Brief vom Ministerium oder einer nachgeordneten Stelle, indem zuerst die Instruktion stand, dass dieser Brief im Beisein einer vertrauten Person zu öffnen sei. Die weiteren Anweisungen seien genau zu befolgen, sie selbst und die vertraute Person seien zu Verschwiegenheit verpflichtet, und nach dem Lesen der Instruktionen sei der Brief im Beisein der vertrauten Person zu vernichten. Dann folgten Anweisungen, welche Themen zu behandeln seien, zum Teil, wo im Blatt sie zu behandeln seien, und ob sie in positivem oder negativem Lichte erscheinen sollten. Zum Beispiel war Euthanasie positiv zu behandeln, Forschung über afrikanische Rassen negativ. Dies sollte man im Hinterkopf haben, wenn man in den Ausgaben der Nazi-Zeit liest.

In dieser Zeitschrift finden sich Anzeigen für das Kinderheim Villa Anna in Westerland/Sylt, geleitet von Oberin Berta Merker. Berta Merker stammte aus Köthen in Sachsen-Anhalt und war deutlich älter als Ilse. Sie ist vermutlich um 1870 geboren.

Mit dieser Berta Merker war Ilse befreundet und viel zusammen. Das Kinderheim war nur in der Sommer-Saison (Ende Mai bis Anfang September) in Betrieb, und in dieser Zeit war Ilse auch dort und erledigte insbesondere die Verwaltungs-Arbeiten, zum Beispiel den Umgang mit den Behörden. Das war für sie ein zweites ökonomisches Standbein.

Aus dieser Zeit stammt vielleicht auch Ilses Freundschaft mit Knud Ahlborn in Klappholttal auf Sylt - wenn sie nicht schon früher bestanden hat. Ein Anknüpfungs-Punkt war die Wandervogel-Bewegung.

Berta Merker war zunächst in der Nazi-Verwaltung als Jüdin eingestuft worden. Ilse gelang es, diese Einstufung ändern zu lassen in Halbjude, so dass Berta Merker einem Abtransport in ein Konzentrationslager entging. Mit Kriegsbeginn wurde das Kinderheim geschlossen; Berta Merker wohnte in dieser Zeit auch im Riesengebirge, nicht allzu weit von Schreiberhau, wo Ilse mit ihrer jüngsten Tochter wohnte. Sie trafen sich dort häufig, Ilse blieb manchmal mehrere Tage bei ihr, während ihre Tochter mit der Oma und dem Hausmädchen daheim war. Auch unternahmen sie noch gemeinsame Reisen. Eine Reise blieb besonders im Gedächtnis: sie besuchten Wien und eine Vorstellung des Burgtheaters; dort trafen sie einen jungen Soldaten aus einem Wiener Lazarett, der früher im Kinderheim Villa Anna gewesen war. Der junge Soldat wurde 1947 Ilses dritter Schwiegersohn.

Berta Merker wählte später den Freitod, als sie - vermutlich aufgrund einer Denunziation - von der Gestapo abgeholt wurde; Ilse wollte noch helfend beistehen, kam aber zu spät.

Wie man unter dem Nazi-Regime überleben soll, hat Ilse sicher auch oft mit ihrer Schwester Jutta besprochen. Jutta war mit Kurt Schweitzer verheiratet, der als Jude eingestuft war. Er hatte im ersten Weltkrieg - natürlich auf deutscher Seite, er fühlte sich ja als Deutscher - gekämpft und war dafür mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet worden. Daher fühlte er sich lange Zeit relativ sicher. Erst 1939 emigrierte er nach England.

 

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Erstellt von Matthias Engelhardt
Mail an Matthias Engelhardt
 
Stand: 2018-03-03
Addresse der Seite: http://ilse-reicke.de/sub/Oberin.html