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![]() Ilse mit ihrem Vater Georg
Kindheit und Jugend, Schule und Studium von Ilse ReickeGeboren wurde Ilse Reicke in Friedenau, das heute ein Stadtteil von Berlin ist; die Gegend um Berlin bestand seinerzeit noch aus etlichen Städten und kleineren Gemeinden, Groß-Berlin entstand erst nach dem ersten Weltkrieg, im Jahre 1920. Neben ein paar Fotos gibt es aus Ilses Kindheit und Jugend drei Bilder, die ihre Mutter Sabine Reicke, geb. Kolscher, gemalt hat. Ihr Vater Georg Reicke war einerseits Schriftsteller und hat sich andererseits auch politisch engagiert; von 1903 bis 1919 war er zweiter Bürgermeister von Berlin. Aus dieser Zeit gibt es eine Brosche in Form eines vergoldeten Blattes. Diese hat Ilse von Kaiserin Auguste-Viktoria geschenkt bekommen. Der Anlass ist etwas unsicher: sie hatte ein Gedicht aufgesagt, entweder bei der Einweihung des Auguste-Viktoria-Krankenhauses 1906 oder anlässlich des Besuchs des Krankenhauses der Kaiserin 1910. Das Aufsagen von Gedichten ist ihr auf jeden Fall auch geblieben, sie konnte die meisten Schiller-Balladen (und nicht nur diese) auswendig, und sie konnte sie auch lebendig vortragen. Eine weitere Brosche in Form eines Ginko-Blattes hat sie auch oft getragen; sie stammte wohl aus einer späteren Zeit, sie bekam sie vermutlich von ihrem Schwiegersohn oder ihrer ältesten Tochter, die eine gleichartige Brosche hatte. Der Ginko, den Goethe erforscht hat, war ihr immer sehr wichtig. Die Familie wohnte in einer Stadt-Wohnung; daneben hatte sie ein Haus am Stölpchen-See (südlicher Ausläufer des Wannsees). Weiter erwarb sie ein Grundstück in Schreiberhau in Schlesien, heute Szklarska Poreba in Polen (dabei ist das e in Poreba ein Sonderzeichen ę, das noch nicht in allen Browsern richtig dargestellt wird). Dort bauten sie ein Blockhaus; die Planung lehnte sich an die nordische Bauweise an, die Georg und Sabine bei Freunden in Schweden kennen und schätzen gelernt hatten. Aus Schreiberhau kam vielleicht auch die Bekanntschaft mit anderen Personen wie Gerhart und Carl Hauptmann, Wilhelm Bölsche, Hanns Fechner und Anna Teichmüller. Schreiberhau wurde später in der Nazi-Zeit ein Rückzugs-Ort für Ilse. Das erste Bild zeigt vermutlich Ilse zusammen mit ihrer Schwester Jutta. Es ist wohl um 1900 entstanden. Ilse war die älteste von vier Geschwistern, nach ihr folgten Jutta, Nelly und Erwin. Der kleine Erwin verstarb 1904 im Alter von 7 Jahren an einem Blinddarm-Durchbruch. Das zweite Bild ist wohl im Wochenend-Haus am Stölpchen-See entstanden. Ilse erhielt in den ersten Jahren daheim Privat-Unterricht. Danach durfte sie eine höhere Schule besuchen, was zu dieser Zeit für Mädchen noch nicht üblich war; in Berlin und anderen Großstädten war dies der Beginn von Gleichberechtigung - ein Thema, das Ilse ihr Leben lang begleitete. Vom Herbst 1905 bis Ostern 1911 besuchte sie die Auguste-Viktoria-Schule in Charlottenburg und schloss mit dem Abitur ab. Die Schule war eine reine Mädchen-Schule; vermutlich ist diese Schule in eine andere Schule aufgegangen; in Frage kommen die heutige Sophie-Charlotte-Oberschule, das heutige Goethe-Gymnasium, oder eine weitere. Auf der Wikipedia-Seite der Berliner Rothenburgstraße ist das Auguste-Victoria-Lyzeum erwähnt, das vorher - also zu Ilses Schulzeit - in der Plantagenstraße stand. Ilse war ihren Klassen-Kameradinnen noch lange verbunden, und zum Jahrestag des Abiturs gab es jeweils eine Art Rundbrief unter dem Namen "??? Teeblätter - erster/zweiter/dritter Aufguss", wobei es am Ende über den fünfzigsten Aufguss hinausging. Das Reickesche Haus war weltoffen und es bestanden freundschaftliche Beziehungen mit anderen Familien; welche diese Familien waren, wissen wir mit wenigen Ausnahmen nicht mehr. Sicher ist, dass auch einige jüdische Familien darunter waren. Auch diese fühlten sich als Deutsche, eben als deutsche Juden. Zum Beispiel war der spätere Schwager von Ilse, Juttas Mann, ein Jude. Diese Offenheit zeigt eine Scherzfrage, die Ilse gelegentlich erzählte: Was ist der Unterschied zwischen Juden und Christen? Antwort: Die Christen gehen am Sonntag nicht in die Kirche, die Juden gehen zum Sabbat nicht in die Synagoge. Es lässt sich deuten im Sinne von: wir gehören einer religiösen oder sonstigen Gruppe an, haben dort auch ein Stück "Heimat", aber sind eigene Personen und werden dadurch nicht in unseren Kontakten zu anderen Personen aus anderen Gruppen eingeschränkt. Bei einer anderen Gelegenheit hat sie sich einmal als "Rand-Bürger des Protestantismus" bezeichnet. Sicher gehörte die Famile von Werner Sombart zum Freundeskreis der Familie. Sie hatten auch ein Sommer-Haus in Schreiberhau und waren dort Nachbarn der Reickes. Die drei Reicke-Töchter sind zusammen mit vier Sombart-Töchtern auf dem Bild "Die rote Sieben" abgebildet, das Ilses Mutter Sabine gemalt hat. Das Abitur legte Ilse 1910 ab, im Alter von 17 Jahren. Danach begann sie zu studieren, in Berlin, mit einem Auswärts-Semester in Heidelberg, und zwar die Fächer Philosophie, Literatur-Geschichte und Geschichte. Sie hat auch öfters von Besuchen in Göttingen bei ihrem Onkel Johannes Reicke, der dort Universitäts-Bibliothekar war, erzählt. In diesem Zusammenhang erwähnte sie einen Besuch bei der Familie des Mathematikers David Hilbert, wobei es besonders um dessen Zerstreutheit ging. Unklar ist, ob sie selbst dabei war, oder ob sie eine Schilderung von Onkel Johannes weitergab. In ihrem Buch "Eine Sippe aus Memel" erzählt sie, dass dieser Onkel Johannes mit Hilberts Frau befreundet war und dass sie einmal eine größere Reise mit den beiden gemacht hat.
Zur Promotion wechselte sie zu Professor Rehmke in Greifswald. Ihre Dissertation trägt den Titel "Über das Dichten in psychologischer Betrachtung" und wurde in Stuttgart von der Union Deutsche Verlagsgesellschaft gedruckt. Der zentrale Teil trägt die Überschrift "Die Seele des Dichters". |